Stoffe

Er hinterlässt ein Loch

Eric Carles Begeisterung für Bilder mit kräftigen Farben war von seiner Schul- und Studienzeit in Stuttgart beeinflusst worden, und die Idee, ein Buch über ein Insekt zu machen und ihm menschliche Eigenschaften zu geben, dürfte in Schwaben ihre Wurzeln haben, wo Erics Vater Erich den Jungen mit auf ausgedehnte Waldspaziergänge nahm. Zwar ist Carle in Amerika geboren, aber seine Eltern waren aus Deutschland in die USA ausgewandert. Als Eric, geboren 1929, sechs Jahre alt war und in die Schule kam, kehrte die Familie nach Stuttgart-Feuerbach zurück. In einem Interview sprach der erwachsene Zeichner einmal davon, er habe sich als Kind eine Brücke vorgestellt, die von seiner Geburtsstadt Syracuse im US-Bundestaat New York bis nach Schwaben reichte und so beide „Heimaten“ verband.

Eric Carle (1929-2021) war bis ins hohe Alter fit und kreativ, mit seiner Frau hat er in Massachusetts ein Bilderbuchmuseum inittiert. Foto: Jim Gipe Pivot / Eric Carle Studio

Was nach einer idyllischen Kindheit klingt, war leider keine, denn Eric erlebte als Junge den Zweiten Weltkrieg. Glücklicherweise hat er niemanden aus seiner Familie im Krieg verloren. Nach der Schule begann er, an der Kunsthochschule Stuttgart zu studieren. Ein Maler, dessen großformatige Motive er besonders liebte, war Paul Klee, seine Bilder wirkten wie Collagen aus Fotos oder riesigen gemalten Bauklötzen. 1952, mit 23 Jahren und dem Studienabschluss in der Tasche, ging Eric Carle zurück in die USA. Um bald darauf wieder in Deutschland zu sein, erst in Mannheim, später in Stuttgart, während seiner Dienstzeit in der US-Armee. Dauerhaft niedergelassen hat es sich in Deutschland aber nicht mehr. Am 25. Juni wird der Illustrator 90 Jahre alt. Sein Schwäbisch ist noch immer sehr gut! Carles jüngere Schwester Christa Bareis ist in Leonberg bei Stuttgart wohnen geblieben. Dort trägt eine Kita den Namen des berühmten Zeichners.

„Für meine Schwester Christa“ lautet auch die Widmung ganz vorne im Buch „Die kleine Raupe Nimmersatt“. Eric Carle machte das erste Exemplar seiner Schwester zum Geschenk, obwohl Christa bereits 19 Jahre alt war, als die „Raupe“ erschien. Ihre Geschichte ist jedoch typisch für die Lese-Fans des Kinderbuches. Sie greifen auch dann noch zu dem schmalen Band über die eigensinnige, hungrige Larve, wenn sie erwachsen sind. Es ist eine Kindheitserinnerung. Dasselbe gilt für den Zeichner, denn die dargestellten, durchlöcherten Lebensmittel, verriet er einmal, habe er als Steppke futtern dürfen, wenn er seine Tante und seinen Onkel in der Stuttgarter Innenstadt besuchte. Auf dem Heimweg machte Eric Carle, wie er belustigt verriet, dann immer einen Abstecher ins Rathaus, um mit dem Paternoster zu fahren. Für den Jungen, der dann eine satte Raupe war, ein Riesenspaß.

Nur ein paar Tage hatte Eric Carle nach eigenen Angaben gebraucht, um „Die kleine Raupe Nimmersatt zu „erzählen“. Zunächst hatte er eine Bildergeschichte über einen Wurm, Willi, entworfen, der sich vergleichbar durch die ganze Lebensmittelausbeute der schwäbischen Küche gefressen hatte – und dann schlafen ging. Carles Verlegerin gefiel das Ende nicht: Zu langweilig, fand sie. Da kam ihm die Idee mit dem verwandelten Schmetterling. Seine Botschaft an die Kinder lautete: Macht etwas aus euch und bleibt (wissens-)hungrig. Oder: Bauchschmerzen nach zu vielen Süßigkeiten vergehen wieder, jeder wird groß und lernt fliegen. Eric Carles Raupe wurde bislang über 55 Millionen Mal weltweit verkauft. Am 23. Mai ist er, 91-jährig, zu Hause im US-Bundesstaat Massachusetts gestorben.