Stoffe

Herr Nilsson hat sich widersetzt

2020 wird Pippi Langstrumpf 75 Jahre alt. Mit der launig falsch gesungenen Rechenaufgabe „Zweimal drei macht vier, und drei macht neune“, käme sie nicht weit. Pippi müsste weitere 66 dazuzählen – und richtig rechnen – dann stimmte die Gleichung zum Geburtstag des Kinderbuchklassiker aus Schweden über das stärkste Mädchen der Welt. Pippi Langstrumpf erschien erstmals 1945. Ein Jahr zuvor hatte Astrid Lindgren die Arbeit an der Geschichte beendet. Gedacht war sie als Geschenk für ihre Tochter Karin zum zehnten Geburtstag. Mittlerweile stehen über 60 Millionen Pippi-Bücher in Kinderzimmern und Bibliotheken weltweit, acht Millionen Exemplare in Deutschland. Wir gratulieren mit einigem Spezialwissen über Efraims Tochter.

Karin wie Astrid Lindgrens Tochter heißt (mit erstem Vornamen) auch Inger Nilsson, die in der TV-Serie in die Rolle der Pippi schlüpfte. Sie war unter 8000 Mädchen ausgewählt worden. Die Folgen wurden 1968 gedreht und kamen 1969 ins schwedische, 1971 ins deutsche Fernsehen. Karin Inger Nilsson war wie Pippi neun Jahre alt, hatte aber blonde statt roter Haare und trug vor der Kamera deshalb eine Perücke. Am 4. Mai 2020 ist die Schauspielerin 61 Jahre alt geworden, den Geburtsmonat teilt sie also auch mit Karin Nyman (so heißt Astrid Lindgrens Tochter jetzt) – und mit Pippi.

Kleiner Kerl heißt Pippis Pferd im Fernsehen, auf Schwedisch: „Lilla Gubben“. In der deutschen Übersetzung wurde daraus „Kleiner Onkel“. Im Buch ist es nur „Pippis Pferd“ und namenlos. Der TV-Hengst hörte im echten Leben auf den Namen „Bunting“ und war ein Schimmel, also ein ganz weißes Pferd. Weil die Geschichte nach einem Apfelschimmel verlangte, bekam Bunting für die Dreharbeiten dunkle Punkte aufgemalt.

Herr Nilsson, Pippis Äffchen, war kein Filmtier. Niemand hatte ihn trainiert oder an andere Bezugspersonen als seine Stockholmer Familie, bei der das Äffchen sonst lebte, gewöhnt. Sogar Astrid Lindgren, die gerne so aufmüpfig wie Pippi war und während der Dreharbeiten die Kommandos gab, scheiterte daran, Herrn Nilsson zu „erziehen“. Die erwachsene Inger Nilsson erinnerte sich in einem Interview, der Affe sei der einzige gewesen, der sich der berühmten Schriftstellerin widersetzt habe. Astrid Lindgren nahm es gelassen. „Mich biss er hauptsächlich in die Zöpfe“, so Inger Nilsson, oder er riss der Kinderdarstellerin gleich die komplette Perücke vom Kopf. Die genervten Fernsehmacher behalfen sich damit, Pippi in einigen Folgen ein Stofftier auf die Schulter zu setzen. Wer sich die Serie genau anschaut, bemerkt den Unterschied, zum Beispiel bei den im Winter gedrehten Szenen.

Krusmynta, aus dem Schwedischen übersetzt „grüne Minze“, lautet einer der fünf Vornamen von Pippi. Im Buch stellt sie sich so vor: „Pippilotta Viktualia Rullgardina Krusmynta Efraimsdotter Långstrump.“ In der deutschsprachigen Ausgabe heißt sie Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Ephraims Tochter Langstrumpf. In der deutschen Fassung der Fernsehserie wurde aus Pfefferminz Schokominza, möglicherweise weil das beim Synchronisieren besser zur Lippenbewegung des Originals passte.

Pippis Adresse lautete Dalagatan 46 in Stockholm, dort steht allerdings nicht die Villa Kunterbunt. Astrid Lindgren wohnte dort. Aufgewachsen ist die Schriftstellerin wie ihre Buchfigur in einem schwedischen Holzhaus, das heute ein Museum ist, aber es war nicht kunterbunt sondern rot gestrichen und stand in der Provinz Småland in Südschweden. Die originale Villa Kunterbunt steht auf der Insel Gotland. Das Buch Pippi Langstrumpf schrieb Astrid Lindgren (1907–2002) an der Schreibmaschine in ihrer Stockholmer Wohnung im Stadtteil Vasastaden, wo die Autorin die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte: 61 Jahre.

Hoppetossa heißt im Schwedischen das Schiff von Seeräuberkapitän Langstrumpf, Pippis Vater. Mit diesem Ausdruck bezeichnen die Schweden ein wildes Kind oder ein junges Mädchen, das, wie man bei uns umgangssprachlich sagt „Hummeln im Hintern hat“, rebellisch und widerspenstig ist. In der deutschen Übersetzung heißt das Schiff Hoppetosse, am Ende mit „e“.

Rosalinda, der Papagei an Bord der Hoppetosse, war in Wirklichkeit ein Männchen und hörte auf den Namen Douglas. Der Ara lebte lange in einem Tierpark in Malmö und kam von dort 2016 in den Karlsruher Zoo, wo er voriges Jahr starb. Douglas wurde stolze 51 Jahre alt.

Erst 1975 durfte Pippi Langstrumpf in Ostdeutschland, der damaligen DDR, erscheinen. Die Kinder mussten sich so lange gedulden, weil Astrid Lindgren eine West-Autorin war und die Geschichte der Auffassung der Regierung davon, wie sich Mädchen und Jungen verhalten sollten, widersprach. Tatsächlich war Pippi auch in Westdeutschland umstritten gewesen. Der Hamburger Verleger Friedrich Oetinger ging mit der deutschen Übersetzung des Buchs 1949 ein Risiko ein: Pippi hatte zwar ein gutes Herz, aber schlechte Manieren: Sie legte beim Essen die Füße auf dem Tisch, hielt sie ungern an Regeln und log pausenlos. Damit passte sie nicht ins damalige Erziehungsbild, das in Schweden, in Deutschland, und überall sonst in Europa vorherrschte. Astrid Lindgren wollte Mädchen und Jungen ermutigen, nicht nur brav und angepasst zu sein. Sie appellierte an die Eltern, ihren Kindern etwas zuzutrauen und bei Konflikten oder Verlusten ehrlich zu ihnen zu sein. Autorinnen wie Christine Nöstlinger (1936–2018) oder Kirsten Boie (70) vertraten eine ähnliche Sicht, inspiriert durch Pippi.

Illustrationen: Katrin Engelking / Oetinger-Verlag