Gefühle sind was für Aliens
Nils Mohls Stil mag man entweder bereits von seinen bisherigen Büchern, oder man liest sich bei „Henny & Ponger“ ein, allerdings im Bewusstsein des Genres: Dies hier ist ein Jugendbuch. Die kurzen Kapitel werden einem Videoschnitt vergleichbar überblendet. Das macht den Ereignissen Tempo und wird den Sehgewohnheiten der Zielgruppe gerecht. Damit ist formal schon viel erreicht von dem, was ein Jugendbuch mitbringen sollte. Die Sprache rundet das Bild ab, sie ist flott, verzichtet aber auf Hashtags und dergleichen. Der Stil bleibt fokussiert. Als Lesender nimmt man zum Auftakt in einer U-Bahn Platz, zusammen mit Titelheld eins, Ponger, plusminus 16 Jahre alt. Eines der wenigen Fragezeichen des Buchs ist übrigens, wie der Name ausgesprochen wird. Deutsch, Französisch mit langem „o“ und weichem „g“, Englisch? In Australien ist ein Ponger umgangsprachlich jemand, der übel riecht. Trifft nicht zu.
Ponger ist auf dem Heimweg von der Werkstatt. Er schraubt keine Autos, sondern repariert seltene alte Flipperautomaten mit einer Hingabe, die gleichzeitig Gabe ist, weil sich ihm bei der einfachen Draufsicht die Technik erschließt, als würde sie sich von selbst mitteilen. Ein Detail, das im Verlauf der Geschichte noch erheblich an Bedeutung gewinnen soll. Nun fährt er S-Bahn, und anders als beim Vornamen seines Titelhelden nimmt es Nils Mohl hier genau, so genau wie es seine Heimatstadt Hamburg (gleichzeitig einer der Schauplätze) eben vorgibt: S31 nach Hamburg-Sternschanze. Soviel Zeit muss sein. Soviel Hinweis auch. Das Mädchen im gelben Friesenerz fällt Ponger deshalb auf, weil in seinem Schoß dasselbe Buch liegt, das er gerade liest. Nils Mohl streut Hinweise, erst ist von einem blauen Einband die Rede, dann von John Green. Margos Spuren.
Warum Henny plötzlich die Notbremse zieht und aus dem Zug flüchtet, kapiert Ponger nicht. Vorher drückt sie ihm aber ein Mobiltelefon in die Hand. Noch mehr Unverständnis. Als sei die Aktion lange geplant gewesen. Wie sich herausstellt, war sie das.
Obwohl die Ouvertüre eigentümlich bis gespenstisch wirkt, stellt sich bei Ponger Bauchkribbeln ein. Absurde Verkehrung, in die auch noch zwei Polizisten platzen und ermitteln. Dem Mädchen glückt die Flucht. Aber es bleibt verdächtigt.
Henny heißt ebensowenig Henny wie Ponger Ponger heißt. Beide sind identitätslos, ohne Papiere, was zugleich eine Metapher auf die Suche nach dem eigenen Platz im Leben ist. Der stille Einzelgänger Ponger liegt verblüffend richtig, als er der vorlauten Henny Paroli bietet und behauptet, sie habe ihn nicht zufällig angesprochen, sondern ausgewählt. Treffer. Er soll ein Fahrzeugbauteil reparieren. Schwierig, denn Ponger ist kein KFZ-Mechaniker. Aber das Fahrzeug ist auch kein Auto.
Trotzdem ist ein Auto auf dem Titel des neuen Mohl abgebildet. Wieder ein Fragezeichen, immerhin eins, das sich noch aufklärt. Es handelt sich um den Oldtimer von Pörl, so heißt die Dame, die Ponger bei sich aufgenommen hat. Ein bisschen erinnert sie an „M“ aus James Bond.
Mit dem Auto kutschiert Pörl Henny und Ponger nach Amrum. Oder: Bis nach Dagebüll Mole, an den Fähranleger. Auch da ist Nils Mohl akribisch als passionierter Inselcamper. Sogar der Name der Fähre ist richtig, Uthlande. Achtung Hinweis, äußeres Land. Auf Amrum, verheißt Henny, habe sie ihren fahrbaren Untersatz geparkt. Dessen Bauteil Ponger repariert hat. Und das ihm Rätsel aufgibt.
Die Liebe, die nicht von dieser Welt ist, entwickelt sich langsam und entschlüsselt sich parallel und das doch sehr irdisch. Mal ist sich Henny ihrer Gefühle unsicher, dann Ponger. Übereinstimmend fühlen sie sich fremd in dem vor ihnen liegenden Kosmos des Erwachsenenwerdens, vereint in der Sorge, sich an die Gestalt dieses Stadiums im späteren Leben nicht mehr erinnern zu können.
Man kann Nils Mohl wörtlich nehmen oder im übertragenden Sinn lesen, das Buch funktioniert sowohl als auch. Die anfängliche Skepsis des Lesers gegenüber der eigenwilligen Henny löst der Autor ebenso auf wie Pongers Schweigen. Dass er am Schluss derjenige ist, der zuerst sprachfähig wird, ist nicht die letzte unerwartete Wendung des bemerkenswert straff über 21 Stunden erzählten Buches.
Fotos: Nils Mohl (a_mo), Insel Amrum