Eine Nacht im Heidi-Haus
Silke Weitendorf hat sich an das Blaue Zimmer im langjährigen Zuhause des Oetinger-Verlags in Hamburg-Duvenstedt erinnert. Buchstäblich in die Familie wurden die Autorinnen und Autoren aufgenommen, wenn sie dort nächtigten. Den Spitznamen „Heidi-Haus“ bekam die ehemalige Apfelscheune nicht etwa, weil das Gebäude aussah wie die Almhütte der Kinderbuchfigur. Den Titel verdankte es Verlegerin Heidi Oetinger. Silke Weitendorf ist die Tochter von Heidi und Friedrich Oetinger. Sie waren mit acht Jahren die Erste, die Pippi Langstrumpf auf Deutsch gelesen hat. Sich selbst hätte sie auch gerne in dem Buch gesehen, allerdings nicht als Titelfigur.
Frau Weitendorf, Sie sagten einmal, Sie seien am liebsten Pippi Langstrumpfs Freundin Annika gewesen. Wieso Annika?
Silke Weitendorf: Pippi war viel zu außergewöhnlich und einzigartig, aber sie zur Freundin zu haben, hätte ich ganz wunderbar gefunden und habe mir das häufig vorgestellt.
Sie haben Astrid Lindgren persönlich gekannt und sich viele Male mit ihr unterhalten können. Wieviel Kaffee hat sie dabei getrunken?
Astrid hat schon – wie die meisten Schweden – recht viel Kaffee getrunken, aber immer ohne Milch und Zucker, eben auch wie die meisten Schweden, also regelmäßig am Morgen und am Nachmittag und manchmal auch mittags.
Wann waren Sie zum ersten Mal im Blauen Zimmer des Verlags?
Ich habe in dem Haus in Hamburg-Duvenstedt, in dem es das Blaue Zimmer gibt, seit 1960 gewohnt. Bis ich 1966 auszog und meinen Mann, Uwe Weitendorf, heiratete. In dem blauen wie auch in dem gegenüberliegenden, größeren roten Zimmer haben von Beginn an Gäste übernachtet: Zum Beispiel unsere süddeutschen Verlagsvertreter, Paul Johannes Schindler und seine Frau Dorothee, oder auch die Illustratoren Margret und Rolf Rettich, die Autoren Paul Maar und James Krüss – oder auch Astrid Lindgren. Aber im blauen Zimmer gibt es nur ein Bett, während sich im roten Zimmer zwei gemütliche Alkoven-Betten befinden, immer noch.
Friedrich Oetinger war Ihr Stiefvater, Sie sind mit ihm und Ihrer Mutter als Patchworkfamilie aufgewachsen. Heute ist das normal, wie war das in den 50er Jahren für Sie?
Das war für mich damals auch irgendwie völlig normal; es gab ja viele Kinder, deren Väter im Krieg gestorben waren. Meine Mutter hatte selbst einen Stiefvater, weil ihr leiblicher Vater bereits im Ersten Weltkrieg 1915 ums Leben kam. Auch mein Stiefvater hatte eine Stiefmutter, weil seine leibliche Mutter kurz nach seiner Geburt verstarb. Was man aber zu der Zeit nicht kannte, war die Bezeichnung Patchworkfamilie; die ist erst Jahrzehnte später aus dem Englischen übernommen worden.
Wer hatte die Idee, das Blaue Zimmer den Autoren/innen, die zu Besuch waren, zu geben – Ihre Mutter oder Ihr Vater?
Sie waren beide sehr gastfreundlich und freuten sich über Autorenbesuche. Die Gäste wurden dann auch immer sehr nett bewirtet, man ging damals noch nicht so oft ins Restaurant.
Haben Sie auch mal in dem Zimmer übernachtet?
Ja. Zuletzt habe ich in dem Zimmer übernachtet, als mich eine Schulfreundin zu meinem 75. Geburtstag besuchte und so gern im Heidi-Haus übernachten wollte: Sie schlief im roten Zimmer und ich im blauen.
Fotos: Oetinger-Verlag