Mittsommer aus dem Bilderbuch
Die Mittsommertour führt von 16. bis 21. Juni durch fünf Orte der Märkischen Schweiz im Landkreis Märkisch-Oderland. Dort, genauer: in Müncheberg, hat auch das Bilderbuchfestival seine Basis. Seit 2013 bereichert die mehrtägige Veranstaltung jeden Herbst das kulturelle Leben in der Region, und dass es sowohl nach Berlin als auch ins Nachbarland Polen (und darüberhinaus) ausstrahlt, ist Teil des Plans. Sarah Wildeisen, die das Festival mit initiiert hat, erklärt seinen Charakter und blickt auf den Neustart nach der Pandemie-Pause.
Das Brandenburger Bilderbuchfestival hat im Namen den Zusatz „Düster und heiter“. Wer kam das Festival zu seinem Titel – und wie habt Ihr es auf die Beine gestellt?
Sarah Wildeisen: Der Theaterregisseur Oliver Spatz und ich, die ich im Bereich Kinder- und Jugendliteratur arbeite, haben überlegt, was man im deutsch-polnischen Grenzgebiet an Kinder- und Jugendbegegnung Sinnvolles auf die Beine Stellen könnte. Da mein Arbeitsschwerpunkt auf Bilderbuchkunst und Bilderbuchvermittlung liegt und ich wusste, dass es in Polen eine starke Illustrationstradition gibt, die sich von unserer Illustrationskunst unterscheidet, habe ich vorgeschlagen ein Festival zum Thema Bilderbücher aus Deutschland und aus Polen zu machen. Und wir Verstehen das Bilderbuch als Buchgattung, die nicht nur für Kinder, sondern für alle Altersgruppen gemacht ist. Wir sind dann nach Polen gefahren, haben verschiedene Leuten gesprochen und beispielsweise entdeckt, dass im Nationalmuseum Poznan eine große Sammlung polnische Bilderbücher existiert, weil eine der Sammlungsverantwortlichen auch eine Leidenschaft für Bilderbücher hat. Wir merkten, dass Polen ein Tor nach Osteuropa ist und hatten im ersten Jahr bereits neben polnischen Illustrator:innen auch litauische im Programm.
Der Festivalname „Düster und heiter“ hinterfragt die Annahme, dass das im Bilderbuch Abgebildete immer eine heile Welt darstellt. Viele Künstler:innen nutzen die Möglichkeit, Bild und Text miteinander in Beziehung zu setzen dazu, schwierige Themen zu kommunizieren oder Verhaltensweisen zu hinterfragen.
Sarah Wildeisen
Das Festival geht auf das Bilderbuch als Kunstform ein. Wie kommt das Programm zustande?
Wir laden immer zwei deutsche und, je nach Budget, fünf bis sechs osteuropäische Illustrator:innen ein, die zwei bis vier Veranstaltungen machen. Dazu gehören Workshops mit Schulklassen und performative Veranstaltungsformate, die Bilderbücher auf die Bühne bringen, je nachdem, was inhaltlich passt. So lesen Schauspieler:innen, singen Sänger:innen, treten Bands auf. Manche Illustrator:innen zeigen, wie sie von einer Idee zum Bild finden, manche inszenieren den Auftritt ihres Bilderbuchs selbst. Wir haben daneben immer wieder Podiumsdiskussionen, etwa über Bildzensur im Bilderbuch oder das Kindbild im Bilderbuch. Und es gibt ein Herzstück unseres Festivals: den Illustrator-Slam. Je zwei Illustrator:innen sitzen auf der Bühne und zeichnen zu einem Begriff/Satz/Frage (gesammelt während des Festivals und vom anwesenden Publikum), sodass das Publikum zusehen kann, wie das Bild entsteht.
Gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen deutscher und polnischer Illustration?
Polnische Illustrationskunst ist plakativer, kommt mehr von der Werbegrafik und es gibt häufiger diese holzschnittartige Formensprache. Uns interessieren weniger Mainstream-Illustrator:innen, sondern welche mit künstlerischem Anspruch. Wir verstehen das Bilderbuch als Buchgattung, die nicht nur für Kinder, sondern für alle Altersgruppen gemacht ist.
Wie hat sich Märkisch-Oderland als Standort des Festivals ergeben?
Meine Mutter kommt aus Pommern, jetzt Polen, Olivers Vater aus Riga, jetzt Lettland, wir haben beide Interesse an Geschichte und Osteuropa. Oliver Spatz leitet den Kulturzug, der – seit Breslau Kulturhauptstadt war – zwischen Berlin und Breslau hin- und herfährt und kulturelles Programm bietet. Dadurch hat er inzwischen viele Kontakte zu Polen.
2021 trägt das Festival den Titel „Die Pferde sind los!“. Was ist geplant?
Pferde prägen das Landschaftsbild in Märkisch-Oderland und sind ein wichtiger Wirtschaftszweig, der jetzt durch Corona am Boden liegt. Wir haben das Glück, eine großartige Ausstellung mit Pferde-Illustrationen aus Lettland in der Stadtpfarrkirche Müncheberg zu zeigen. Man denkt bei Pferd und Kinderliteratur ja, dass da nur etwas Kitschiges herauskommen kann. Wir wollen zeigen, dass dem nicht so ist.
Ist das Festival zweisprachig?
Ja, deutsch und polnisch. Aber wir haben immer Sprachmittler:innen für die jeweiligen Landessprachen der eingeladenen Künstler:innen. Bei manchen Podiumsdiskussionen weichen wir auf Englisch aus.
Wie schwer hat Corona das Planen des Festivals gemacht?
Das Problem eines Low-Budget-Festivals ist, dass, wenn man sagt, „lass uns aussetzen, weil wir nichts planen können, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass wir selbst die kleinsten Förderungen, deren Beantragung uns viel Mühe kostet, im darauffolgenden Jahr nicht mehr bekommen. Wir fühlen uns also immer angetrieben trotzdem was zu machen, um zu zeigen, dass es uns wirklich ernst mit dem Festival ist. 2020 hatten wir die Bilder aus dem Bilderbuch „Transit“ (über die Transsibirische Eisenbahn) als Ausstellung in der Stadtpfarrkirche Müncheberg samt eines Schlafwagenabteils aufgebaut und konnten die Ausstellung nur vier Tage öffentlich zugänglich machen.
Das Bilderbuchfestival 2021 findet statt von 31. Oktober bis 7. November in der Stadtpfarrkirche Müncheberg sowie an weiteren Orten im Landkreis Märkisch-Oderland.
Sarah Wildeisen ist Kunsthistorikerin und Buchhändlerin. Sie war Sachgebietsleiterin für Kinder- und Jugendbibliotheken der Stadtbibliothek Berlin-Mitte, zugleich Kontaktstelle für die rund 400 Berliner Schulbibliotheken. Sarah Wildeisen ist Dozentin an der HAW Hamburg und unterrichtet dort angehende Bibliothekar:innen.