Lesefördernde, Stoffe

#VLT20: „Zum Lesen kommt man nur übers Vorlesen“

Der dritte Freitag im November trägt seit 2004 den Titel bundesweiter Vorlesetag. Erwachsene lesen für Kinder, Jugendliche für Kinder, Jugendliche für Erwachsene oder Erwachsene für Erwachsene. 500 000 Menschen in ganz Deutschland machen mit, auch in – und trotz – der Pandemie. Denn Abstände und Hygieneregeln einzuhalten, lässt sich in der Leseföderung gut umsetzen. Vorlesen ist ein wichtiger Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit! Häufig stellen die Akteuere des heutigen Tages fest: Selber leise lesen ist einfacher als laut vorzulesen. Weil man alleine schneller liest. Stimmt! Dass sich Kinder aber fürs Lesen begeistern, bedarf erwachsener Vorbilder – und Aktionen wie den Vorlesetag oder der Vorlesewettbewerb, der 2020 zum 61. Mal stattfand. Das Finale war am 25. November. Die beliebtesten Bücher der jungen Vorlesenden seit 2004 waren Bände von Harry Potter, Gregs Tagebuch, Rico und Oskar sowie Warrior Cats.

Teilnehmen dürfen immer die sechsten Klassen eines jeden Schultyps. Erst wird der Klassensieger, dann der Schulsieger, der Kreissieger, der Landessieger und schließlich, der Bundessieger oder die Bundessiegerin ausgezeichnet. Den ersten Vorlesewettbewerb 1959 gewann ein 13-jähriger Junge aus Berlin, Bodo Sengebusch. Er ist später Lehrer geworden. Das allerster Vorlese-Bundesfinale fand in Frankfurt am Main statt und wurde sogar im Fernsehen übertragen. Bodo hatte sich einen Abschnitt aus Mark Twains Abenteuerroman „Tom Sawyer“ vorgenommen. Sein Vortrag überzeugte die Jury am meisten. Applaus gab es auch vom Ehrengast im Publikum, dem berühmten Kinderbuchautor Erich Kästner, der extra von München nach Frankfurt gereist war, um den Jungen und Mädchen zuzuhören.

Das Finale des ersten Vorlesewettbewerbs, 1959. Zwölf Landessieger*innen treten an. Bodo Sengebusch aus Berlin liest aus Tom Sawyers Abenteuern. Juror Erich Kästner (rechts) lauscht – auch Baden-Württembergs Landessiegerin Sylvia Braun (3.v.l.) ist gespannt, wie er sich schlägt.

An Kästner kann sich auch Sylvia Braun erinnern, die damals zwölfjährige Landessiegerin aus Baden-Württemberg. „Als ich ihn entdeckte, war mein erster Gedanke: Wow, ist der klein!“, verrät sie. „Wir waren gleich groß.“ Nicht nur deshalb sei sofort Augenhöhe zwischen den Kindern und dem Schriftsteller, Schöpfer von „Emil und die Detektive“ und „Das fliegende Klassenzimmer“ entstanden. „Erich Kästner hatte eine tolle Ausstrahlung. Er hat uns beim Vorlesen zugehört, ließ sich begeistern und nahm sich Zeit, uns im Anschluss an den Wettbewerb ebenfalls zu erzählen.“ Sylvia Braun hatte sich für das Buch „Andschana. Die Geschichte eines indischen Mädchens“ entschieden. Die Erzählung der Autorin Käthe von Roeder-Gnadenberg.

„Mit Kindern über gute Bücher zu sprechen, ist einfach wunderschön. Das setzt so viel in Gang“, sagt Sylvia Braun. Bodo Sengebusch stimmt zu und ergänzt: „Zum Lesen kommt man nur übers Vorlesen.“ Schüler sollten etwas mit einem Buch verbinden, zum Beispiel die schöne Erfahrung, vorgelesen zu bekommen.


Fotos: Stiftung Lesen / VLT, Patrick Kuschfeld & BÖV, Stiftung Leseförderung und Buchkultur